Systemisch in a nutshell

sehr lecker aussehende Croissants
Weil ein Croissant mehr ist als die Summe seiner Krümel (Photo by mahyar motebassem on Unsplash)

Systemische Beratung, Systemische Haltung, Systemisches Denken. Immer wieder lesen wir das Schlagwort "systemisch", aber kannst Du Dir etwas darunter vorstellen? Ich persönlich finde systemisch arbeiten, systemisch denken verdammt geil, finde aber das theoretische Konstrukt dahinter schon komplex. Wahrscheinlich liegt hier die Ursache, warum ich bei Nicht-Berater:innen des Öfteren ein Augenrollen beobachte, wenn ich mit einem herzlichen: "Also, systemisch betrachtet ..." daher komme. 

 

Für manche ist es zum Weglaufen


Systemisches Denken bedient sich theoretischer Grundlagen aus Psychologie, Biologie, Physik oder Philosophie. Schlagwörter zum Googeln sind beispielsweise: Autopoiese, Kybernetik (2. Ordnung), Synergetik, Konstruktivismus, sozialer Konstruktionismus und vieles mehr. Und ich muss hier gestehen: Ich muss immer wieder überlegen, was hinter den Schlagworten steckt und wofür sie letztendlich stehen. Wer hierüber mehr wissen möchte: Bitte melden, ich hab da Literaturvorschläge ;)

 

Für mich ist es eine Haltung


In der Ausbildung zur Systemischen Beraterin war der Zugang zur systemischen Welt für mich ein Durchbruch. Im Projektmanagement habe ich gelernt, Projekte abzuwickeln und zu organisieren. Hier aber habe ich verstanden, warum meine Projekte trotzdem nicht immer glatt laufen: Wir sind nicht alle gleich. Wir haben unterschiedliche Eigenschaften und Vorlieben, sind eingebettet in unterschiedliche Familien-Systeme, manchmal auch in unterschiedliche Firmen-Systeme. Wir wohnen in unterschiedlichen Stadtteilen, stammen vielleicht sogar aus unterschiedlichen kulturellen Systemen. All das beantwortet, warum Fakten, die für die Einen selbstverständlich sind, für Andere nicht mal sichtbar sind. 

Für mich persönlich heißt systemische Haltung also: Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit kennen zu lernen, zu akzeptieren und zu "nutzen", aber nicht auszunutzen. Und ich arbeite in Hypothesen, die KÖNNEN richtig sein, sich aber auch als falsch erweisen. Beides ist okay - und ein Erkenntnisgewinn. 

 

Für Klient:innen ist es eine Wohltat

Systemische Beratung bedeutet also, passende Lösungen zu finden - nicht allgemein gültige. Das befreit Klient:innen davon, etwas "richtig" oder "falsch" zu machen. Es geht eher um ein "hilfreich" oder "schadend", und hier hat die Kreativität freien Lauf. Damit ist auch klar, wer der/die Expert:in im Raum ist - und ich bin es nicht. Niemand kennt den eigenen Alltag, die Chancen und Möglichkeiten, hilfreiche Eigenschaften oder Menschen so gut, wie der Mensch, der mir gegenüber sitzt. Ich höre zu, gebe Impulse, Anregungen, mache darauf aufmerksam, was auf mich unlogisch oder wenig plausibel wirkt. Lösungen findet mein Gegenüber. 

 

Für Auftraggeber manchmal eine Qual


Die Qual entsteht manchmal bei der Auftragsklärung: Was steht am Ende unserer Zusammenarbeit? Wie muss das Ergebnis aussehen, damit Sie sagen: Wow, das war es wert? Systemische Beratung steht und fällt mit dem Setzen eines Ziels. Das ist manchmal ganz schön anstrengend: Was ist das Ziel, und was ist es nicht? Welche Erwartungen habe ich darüber hinaus? Sind die realistisch? Bin ich mir (bzw. sind wir uns) überhaupt klar genug darüber, was wir erreichen wollen? Und manchmal ist die Auftragsklärung schon Maßnahme genug, um Dinge in Bewegung zu bringen. 

 

Für Probleme ist es ein Schlüssel


Oder: Kann es sein. Systemische Beratung ermöglicht, die Dinge so zu betrachten, wie sie sind, nicht so, wie es auf dem Papier steht. Sie führt individuelle und passende Lösungen herbei. Sie vereinfacht Menschen nicht auf rot-gelb-grün-blau-Codes, und sie reduziert Organisationen nicht auf Excel-Tabellen und Ampeln. Sie trägt damit der immer größer werdenden Komplexität Rechnung. Trotzdem kann ein Prozess scheitern oder eine Lösung versagen. Aber vielleicht ist genau das die Stärke, das Leben und Arbeiten immer wieder als Prozess zu sehen und zu begreifen. Das erleichtert das Akzeptieren von Fehlschlägen: Hat nicht geklappt? Dann probieren wir es eben anders! 

 

Und für das Croissant? 

In der Substanz gesehen besteht das Croissant hauptsächlich aus Mehl, Zucker und Butter. Viel Butter. Würde man die einfach so zusammenrühren und backen? Nein. Das Croissant besteht genauso aus einem Prozess, Faltungen, Ruhen, und natürlich der richtigen Temperatur, einer fähigen Hand ... und einer vorsichtigen Behandlung, sonst zerfällt es zu Krümeln. Und kann nie wieder zusammengesetzt werden, manchmal ist es nicht einmal reproduzierbar! Für mich ein schönes Sinnbild für systemisches Denken. 

 

Ich weiß ja in etwa, wer (bisher) diesen Blog liest, hihi ... Was meint Ihr? Welche Perspektive habe ich vergessen? Was ist Euer persönliches "Gold-Nugget" in der Systemischen Arbeit? 

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Kommentare: 1
  • #1

    Olli (Freitag, 28 Mai 2021 16:58)

    Liebe, Annahme und Wertschätzung sind meine Gold-Nuggets :-). Mein neues Lieblingszitat ist übrigens: Ein Croissant ist mehr als die Summe seiner Krümel. In diesem Sinne, danke für deinen erhellenden und augenzwinkernden Blog.